Rede von Maneva, Mitglied von Bla*Sh, am Memorial vom 1. Juni 2020 in Bern und 6. Juni in Basel für George Floyd und alle anderen durch institutionalisierten Rassismus ermordeten Schwarzen Menschen in den USA, der Schweiz und anderswo.
«there comes a time where silence is betrayal»
martin luther king, jr.
Ich bin vor 45 Jahren hier in der Schweiz geboren, mein Vater war in den 70-er Jahren einer der ersten Schwarzen in Luzern. Rassismus ist seit meiner Kindheit ein alltägliches Thema. Ich habe mitbekommen wie Rassismus und Heimweh meinen Vater über Jahre hinweg wütend, müde, frustriert, krank und schlussendlich kaputt gemacht haben.
Rassismus ist für mich Alltag hier in der Schweiz seit 45 Jahren, auch Alltag meiner zwei schulpflichtigen Söhne.
Rassismus ist kein amerikanisches Problem, weit weg von uns.
Rassismus ist nicht nur Mord durch die Polizei auf offener Strasse.
Rassismus sind auch die unzähligen Micro Aggressions, die wir Betroffenen Tag für Tag hier in der Schweiz und weltweit erleben: Hände in unseren Haaren, hasserfüllte Blicke, Beleidigungen, albtraummässige Wohnungs- und Arbeitssuchen, das ständige sich Erklären und sich Legitimieren müssen, dass wir – tatsächlich – auch von hier und auch echte Schweizer*innen sind.
Ich habe miterlebt wie mein Vater mit nur 47 Jahren an Krebs gestorben ist.
Ich mache Rassismus mitverantwortlich für seinen frühen Tod, denn der alltägliche Hass hat ihn innerlich buchstäblich aufgefressen.
Die schwarze Community in der Schweiz und in der Welt erlebt ein kollektives Trauma.
Jeder rassistische Vorfall, sei es ein Mord oder die Fasnacht, rassistische Überschriften von Gratiszeitungen und ihren online Kommentarspalten, das
N-Wort, ein Schulwandbild oder der Kampf ums Umbenennen einer Süssigkeit, es sind unzählige Trigger, unzählige Verletzungen, mit der die Community sich Tag für Tag beschäftigen muss.
Schweigen und Schlucken ist anstrengend, aber wenn wir unseren Mut zusammennehmen und uns nach einer Verletzung Ausdruck geben und Rassismus beim Namen nennen, erfahren wir meist noch mehr Rassismus. Unsere Wahrnehmung, unsere Wahrheit, unsere Perspektive wird ständig in Frage gestellt oder als überempfindlich angesehen.
Auf Rassismus, den wir benennen, folgt noch mehr Rassismus. «War nicht böse gemeint», endlose Rechtfertigungen, schlechtes Gewissen und weisse Tränen, die uns – weil wir Rassismus benannt haben – plötzlich zu Täter*innen machen.
Weisse Menschen zu beruhigen, zu versichern und aufzuklären ist nicht unsere Aufgabe. Das ist zusätzliche Arbeit und zusätzliche Energie, die uns selber im Alltag fehlt. Das macht auch müde, das macht auch wütend und das muss aufhören.
400 Jahre psychologische, mentale und körperliche Gewalt gegen Generationen von Schwarzen Menschen sind ermüdend, frustrierend, machen hilflos, kraftlos, depressiv und krank.
Institutioneller Rassismus passiert nicht nur in Form von Racial Profiling oder Morden durch die Polizei, sondern kostet auch Menschenleben durch Suizid oder Krankheit.
Rassismus ist ein zweiseitiges Schwert, es verletzt uns alle.
Es ist an der Zeit, dass unsere Verbündeten und die weisse Mehrheitsgesellschaft verstehen, dass wir als Schwarze Community nicht über das Privileg verfügen, Rassismus einfach zu ignorieren, weil unsere Gesundheit und unser Leben, auch das unserer Kinder, davon abhängt.
Unseren Verbündeten sage ich: Schaut nicht länger zu, brecht euer Schweigen, werdet aktiv, informiert euch über Rassismus und euer eigenes Trauma, setzt euch mit critical whiteness auseinander. Strukturellen Rassismus müssen wir alle zusammen dekonstruieren, damit unser kollektives Trauma nicht weiter wächst und nicht Generation für Generation weitergereicht wird.
Unseren Elders, meinen Söhnen und meinen Schwarzen Schwestern und Brüdern – auch meinen Trans Schwestern und Brüdern – sage ich: Du bist nicht allein, wir sind viele. Deine Trauer, deine Wut, deine Ohnmachtsgefühle sind berechtigt. Wir teilen diese, wir tragen sie gemeinsam.
Im Umgang mit chronischer Verletzung ist es wichtig, sich nicht hilflos ausgeliefert zu fühlen, sondern in die Wirksamkeit zurückzufinden.
Wir müssen als Schwarze Community solidarisch zusammenkommen, uns schützen und Sorge tragen, schauen dass es uns gut geht und wir gesund bleiben. Investieren wir unsere wertvolle Energie in unsere Selbstfürsorge und den Zusammenhalt der Community, bevor wir mühsame Aufklärungsarbeit leisten für Leute, die viel zu oft weder zuhören noch wirklich bereit sind etwas zu verändern.
Unsere berechtigte Wut können wir in Bahnen und Projekte lenken, die uns als Community ermächtigen und aufbauen, unsere Stimmen stärken, in der Schule, bei der Arbeit, auf der Strasse, in den Medien und in der Politik.
Üsi Läbe sind wichtig.
Black lives matter. Be the change you want to see.