Race im Alltag – Schwarzfeministisches Kollektiv

Rede des Schwarzfeministischen Kollektivs an den Black Lives Matter Demonstrationen in Bern und Zürich am 13. Juni 2020.

An den verschiedenen Demonstrationen und Mahnwachen der letzten zwei Wochen und auch heute werden Namen genannt von Personen, die durch institutionelle rassistische Gewalt in der Schweiz gestorben sind. So zum Beispiel: Mike Ben Peter, Lamine Fatty, Hervé Mandundu Bex, Subramaniam H.

Viele mehr sind durch institutionelle rassistische Gewalt – auch in der Schweiz – frühzeitig gestorben. Viele ihrer Namen kennen wir nicht. Gerade auch diejenigen von Illegalisierten, Armutsbetroffenen, Frauen, queeren, Transmenschen und nicht geschlechtskonformistischen Personen und Sexarbeitenden. Je grösser die Marginalisierung, desto grösser die Unsichtbarkeit.

Immer wieder gibt es Todesfälle in Polizeigewahrsam. Aber sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Wie die Schwarze Anthropologin Serena Dankwa vor kurzem sagte, sind es nicht einzelne böse Polizist*innen, die dazu führen, sondern Bilder von Ungleichheit, die inmitten der Gesellschaft als Normalität zirkulieren. Rassistische Polizeikontrollen führen uns vor Augen, was viele hier nicht sehen wollen: Die Polizei als Schutz empfinden zu können, ist innerhalb unserer rassistischen Strukturen ein weisses Privileg.

An der Demo in Basel letzte Woche sagte eine Schwarze Aktivistin: «Rassismus ist kein amerikanisches Problem, weit weg von uns. Rassismus ist nicht nur Mord durch die Polizei auf offener Strasse. Rassismus ist auch die unzähligen Mikroaggressionen, die wir Betroffenen Tag für Tag erleben. Hände in unseren Haaren, hasserfüllte Blicke. Beleidigungen. Albtraummässige Wohnungs- und Arbeitssuchen. Das ständige Sich-Erklären und Sich-Legitimieren müssen», dass wir tatsächlich auch hierher gehören.

Viele Schwarze und andere Menschen of Colour, die hier leben, sind Schweizer*innen. Einige leben hier in der 2., 3., 4. Generation ohne roten Pass. Einige sind geflüchtet. Einige sind illegalisiert. Aber nicht aller Rassismus, der die Schweiz betrifft, findet auf Schweizer Territorium statt. Sondern auch an ihren Grenzen, auf Fluchtwegen, im Mittelmeer. In Camps an den europäischen Grenzen, wie die Revoltierenden in Moira uns das während der Coronakrise zeigten.

Marginalisierung, Diskriminierung und Entmenschlichung ist Teil des Alltags von Schwarzen und anderen Menschen of Colour weltweit aber auch hier in der Schweiz. Was uns unterscheidet, ist nicht der Rassismus, sondern der Alltag, den wir führen, aufgrund unserer unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen. Aufgrund von Geschlecht, Sexualität, Behinderung, Alter und sehr fest auch Aufenthaltsstatus und Klasse.

Wir können nicht atmen, metaphorisch aber auch physisch. Das zeigen uns das Ersticken von Eric Garner und George Floyd in den USA. Oder der Tod von Keyla Williams während der Coronapandemie in Grossbritannien. Oder die Ertrinkenden im Mittelmeer. Oder aber auch der Tod von Mike Ben Peter in Lausanne und der Überlebende Wilson A., der in Zürich in Lebensnot um Atem rang als er von der Polizei, gewaltsam in Gewahrsam genommen wurde.

Die Schweiz war am Kolonialismus, der Ausbeutung von Arbeitskräften, der Versklavung von Menschen, und an den daraus entstandenen Profiten ebenso beteiligt, wie an der Produktion von rassistischem Wissen. Wissen das Weisse ins Zentrum der Menschheit setzte, Schwarze an deren Ränder und andere nicht-weisse Menschen irgendwo dazwischen.

Wieso sollten diese Vorstellungen verschwunden sein, wenn Rassismus hier nicht anerkannt wird? Nur wenn eine Auseinandersetzung stattfindet, kann sich etwas verändern.

«Wir revoltieren schlicht, weil wir – aus unterschiedlichen Gründen – nicht mehr atmen können», sagte der antikoloniale Kämpfer Frantz Fanon in den 50er Jahren über die globalen antikolonialen Kämpfe und Kriege. 70 beziehungsweise 500 Jahre später können wir immer noch nicht atmen.

Heute und jetzt trauern wir, um Menschen, die frühzeitig gestorben sind. Gleichzeitig sind wir erschöpft, traumatisiert, und müde. Weil wir immer wieder dasselbe erzählen. Weil unsere Leben erst dann zählen, wenn wir sterben. Weil immer wieder erneut unsere Traumata und Wunden medial aufbereitet werden für einen Rassismuss-Skandal, der am nächsten Tag wieder vergessen ist. Wir sind müde und erschöpft, denn wir leben in einer Gesellschaft, die immer wieder die Augen vor Rassismus verschliesst. Verschliesst, indem sie unsere Erfahrungen individualisiert, bagatellisiert oder uns als hypersensibel und übertreibend abtut. Wir leben in einer Gesellschaft, die kaum gegen Rassismus ankämpft, weil sie diese strukturelle Ungleichheit als Meinungsfrage abtut. Unser Leben ist keine Meinung. Es reicht. Enough, is enough!

Liebe Schwarze Menschen und Menschen of Colour wir müssen uns dieser Vereinzelung verweigern. Wir haben es in den letzten Wochen gesehen, wir sehen es auch heute: Wir sind so überwältigend viele. Organisieren wir uns. Lasst uns immer wieder zusammentreten, wenn jemand unter uns an den Rand – oder wie in der Arena in die zweite Reihe – gedrängt wird, mit einem lauten mehrstimmigen Widerstand.

Liebe weisse Allies, eine antirassistische Bekundung ist ein wichtiger Schritt. Aber noch wichtiger, ist dass diese Bekundungen – auch euren Alltag verändern. Lebenswichtig für uns ist, zu welchen antirassistischen Handlungen ihr ansetzt und welche ihr unterlässt. Interveniert. Interveniert immer! Interveniert mit uns. Interveniert, auch wenn wir nicht da sind. Tut es nicht für uns, sondern weil auch ihr genug habt von dieser Gewalt.

Wir alle haben es statt, in einer Gesellschaft zu leben in der die Entmenschlichung von einigen, die Normalität von Anderen ist. Rassismus entmenschlicht. Rassismus betrifft uns alle.

Schwarze Leben sind wertvoll. Schwarze Leben zählen. Black Lives Matter!

Schwarzfeministisches Kollektiv