#Justice4WilsonNow

Eine Solidaritätsbekundung des Schwarzfeministischen Kollektivs – Verlesen zum Start der Kampagne #Justice4WilsonNow am 13. Juni 2021

Letztes Jahr nach der Tötung von George Floyd gab es in den USA, weltweit und auch hier riesige Proteste gegen Rassismus, Racial Profiling und staatlich sanktionierte rassistische Gewalt. In einem Gespräch mit Wilson sagte er mir, „wer auch immer all diese Menschen mobilisiert hat, müsste das doch auch für Fälle in der Schweiz machen können. Für meinen Fall!“

Wer und was alles zu diesen weltweiten Protesten beigetragen hat, ist für mich immer noch schwer zu fassen. Aber wir wissen, dass die Jahre vorangehender Mobilisierung und Aufklärung von uns antirassistischen Aktivist:innen – auch in der Schweiz ein wesentlicher Bestandteil davon waren.

Doch die Mainstream-Medien fragten, gibt es wirklich Rassismus in der Schweiz? BIPOCs wurden eingeladen über ihre Erfahrungen zu erzählen. Die rassistischen Strukturen dahinter mussten wir – einmal mehr – erahnen.

Neu war, dass die Berichterstattung über Rassismus in der Schweiz so lange anhielt. Doch die meisten von uns, die in den Medien – zu Recht – zu Wort kommen, sind in der Schweiz aufgewachsen, haben einen sicheren Aufenthaltsstatus, sind lightskinned und überdurchschnittlich gebildet. Was Kimberlé Crenshaw in Bezug auf Intersektionalität kritisierte, passiert auch hier: Die privilegiertesten unter uns werden zu den alleinigen Vertreter:innen gemacht. Die Mainstreammedien bestätigten, was sie schon von Anfang an wussten: so wie in den USA ist es hier nicht. Leute sterben hier nicht.

Es ist an uns zu sagen „Wir sind nicht repräsentativ. Die meisten rassifizierten Menschen erhalten keine Stimme und werden nicht gehört“.

Und es ist an uns allen zu sagen: „Auch hier wird Schwarzen Menschen, das Knie in den Hals gedrückt“ – wie uns Fotos zu einem Polizeieinsatz in Bern von vorgestern wieder vorführen (Der Bund: „Verstörende Aktion der Berner Polizei“, 12.06.21, S. 19).

Es sind insbesondere wir Aktivist:innen, die die Namen von Verstorbenen auf die Strassen getragen haben. Menschen, die durch staatliche Sicherheitsbehördenwie dem Grenzwachcorps oder der Polizei oder durch mandatierte private Sicherheitsunternehmen umgekommen sind, bei Kontrollen, in Gewahrsam, in Asylcamps, bei Deportationen oder schon auf dem Weg hierher. Mike Ben Peter, Hervé Mandundu, Lamine Fatty, Cemal G., Hamid Bakiri und viele weitere mehr (Mohammed Wa Baile: „Helvetizid“).

Es sind wir Aktivist:innen, die betonen, dass wir von vielen nicht einmal wissen, ob oder wie sie gestorben sind, weil sie einfach als „verschwunden“ gelten.

Es sind wir Aktivist:innen, die immer wiederholen, dass wir von einigen wissen, dass sie gestorben sind, doch wir kennen ihre Namen nicht. Waren Trans*, Inter-, Nichtbinäre Personen und Frauen darunter? Wie sollen wir den einzelnen gelebten Menschen gedenken, wenn sie durch Staatsgewalt zu einer anonymen Masse gemacht werden?

Es sind wir Aktivist:innen, die betonen, dass nicht nur innerhalb der Schweiz Grenzen gezogen werden (auch zwischen unterschiedlich rassifizierten Menschen). Grenzen, die immer wieder zeigen, wer dazugehört und wer nicht, wessen Leben zählt und wessen Leben nicht. Auch ausserhalb des eigenen Territoriums, beispielsweise an den europäischen Aussengrenzen, überlässt die Schweiz Menschen dem Tod. Frontex zum Beispiel wird nun nochmals massiv ausgebaut – noch mehr bewaffnetes Personal, um die Grenzen, für die einen zu sichern und für die anderen zu einer Todeszone zu machen, und dabei das Massengrab im Mittelmeer weiter ausweitet (Abolish Frontex).

Es sind wir Aktivist:innen, die betonen, dass Schwarze Leben wertvoll sind und geschützt werden müssen. Schwarze Leben Zählen!

Es sind wir Aktivist:innen, die darauf verweisen, dass diese Lebensbedingungen uns Schwarzen und anderen Menschen of Color den Atem nehmen und diese zerstörerische Gewalt letztlich uns alle entmenschlicht. Metaphorisch und wortwörtlich. Manchmal punktuell und manchmal ersticken wir so langsam, dass wir kaum merken, was die Ursache ist.

Wie George Floyd und Mike Ben Peters wurde auch Wilson A. das Atmen verunmöglicht. Es ist ein Glück, dass er überlebt hat. Es ist (uns) ein Vorbild, dass Wilson A. weiss, dass sein Leben einen Wert hat. Es ist (uns) ein Vorbild, dass er und seine Nächsten sich unablässig engagieren – trotz all der Demütigungen, Notlagen und alltäglichen Schwierigkeiten, denen Wilson A. und auch Mohamed Wa Baile im Verlauf dieser Gerichtsprozesse ausgesetzt waren und sind.

Wir vom Schwarzfeministischen Kollektiv stehen hinter euch. Es ist an uns allen, die Rassismus, Racial Profiling und staatlich sanktionierte rassistische Gewalt überleben, oder als nicht-direktbetroffen miterleben zu zeigen, dass eure Leben zählen, dass Schwarze Leben zählen.

Es sind wir Aktivist:innen, die immer wieder auf die rassistischen Strukturen verweisen, die Schwarze und andere Menschen of Color dem frühzeitigen Tod aussetzen, an die gesellschaftlichen Ränder drängen, diskriminieren und von politischen Entscheidungen ausschliessen (Für ein Grundrecht auf Einbürgerung). Mit oder ohne zugewiesene Rechte, sind es wir Aktivist:innen, die immer wieder aufzeigen, dass diese lebensfeindlichen Strukturen weg müssen.

Wir verstehen diesen Start der Kampagne #justice4Wilsonnow als Community Building als einen Schulterschluss, mit dem wir bestärkt unseren antirassistischen Aktivitäten weiter nachgehen und noch lauter und weiter rufen:

Schluss mit dem Industriellen Komplex um Geflüchtete und Integration!

Schluss mit den tödlichen Grenzregimen. Schliesst die Camps!

Abolition Jetzt!

Migrantifa Jetzt!

Wir wollen unsere Träume leben, wir wollen handlungsfähig sein und wir wollen ein Jetzt, dass uns atmen und hoffen lässt. Hoffen auf auf eine Zukunft und auf einen Planeten, auf dem das Leben aller Wesen zählt!